George Grosz in Musik
Orff und seine Zeitgenossen – Konzert im Münchner Orff-Zentrum
Von Robert Jungwirth
(München, 5. Dezember 2024) Kammermusikwerke dreier weltberühmter Münchner Komponisten des 20. Jahrhunderts standen auf dem Programm des jüngsten Konzerts im Münchner Orff-Zentrum: Carl Orff, Karl Amadeus Hartmann und Richard Strauss. Wo sonst bekommt man in München ein solch interessantes Programm mit drei weitgehend unbekannten Werken dieser Komponisten zu hören? Im gegenwärtigen Konzertbetrieb der Stadt mit seiner Mainstream-Ausrichtung nirgends, muss man leider sagen. Umso erfreulicher, dass das Orff-Zentrum diese Lücke immer wieder mit Spannendem und Unbekanntem füllt.
Thematisch geht es bei den Konzerten dort natürlich meist um Orff und Anknüpfungspunkte zu anderen Musikern und Musiken – ein weites und interessantes Feld, denn der musikalische Kosmos Carl Orffs reichte sehr weit, einschließlich außereuropäischer Musik. Jetzt also um den zehn Jahre jüngeren Hartmann und den rund 40 Jahre älteren Strauss.
Strauss war selbstverständlich tonangebend in seiner Zeit – zumal in München – und der junge Orff war nach einer Aufführung von dessen „Elektra“ mit Strauss am Pult ebenso elektrisiert wie ratlos, wie es nach einem solchen Werk musikalisch und vor allem musikdramatisch weiter gehen könnte, welchen Weg er als Komponist einschlagen sollte. Welch großes Talent in dem jungen Orff steckte, zeigt sein zum Ende seines Studiums in München komponierter Quartettsatz in h-Moll von 1914.
Es ist ein Ausloten der Möglichkeiten zeitgenössischen Komponierens am Ende der spätromantischen Phase, das Orff in diesem Werk sehr nah an die Klangwelt Arnold Schönbergs heranbringt. Erstaunlich, wie souverän er mit dieser so neuen Klangwelt umgeht und einen eigenen Tonfall, gestenreich und expressiv und mit einer Tiefe der Empfindung.
Fünfzehn Jahre später war Orff dagegen auf ganz anderen Bahnen unterwegs, als er seine Cantus-Firmus-Sätze komponierte und sich damit nicht nur in Richtung Reduktion der musikalischen Materials und der Verarbeitung, sondern auch mit dem Blick zurück in die Musikgeschichte befand. Ein Weg, der ihn schließlich zu den Carmina Burana führte. Der Schlagzeuger Stefan Blum hat diese Cantus-Firmus-Sätze, die für beliebige Instrumente geschrieben und flexibel aufführbar sind, für Quartett und Schlagzeug gesetzt. Eine spannende Neusicht auf mittelalterliche Klänge, sehr fein und sensibel umgesetzt vom Ensemble WhizArt, das in unterschiedlicher Besetzung zu Projekten zusammenfindet.
Hier waren es zunächst Quartettformationen wie auch in Karl Amadeus Hartmanns staunenswertem Kleinen Konzert für Streichquartett und Schlagzeug von 1932. Anders als Orff warf sich Hartmann in seine musikalische Gegenwart hinein und komponierte ein Stück Neue Sachlichkeit, die klingt als würde ein Bild von Georg Grosz Musik. Groteske Marschrhythmen und schrille Gesten kommen da vor, mit dem feinen Pinsel, resp. Bogenstrich gemalt. Eine musikalische Karikatur auf die Weimarer Republik in ihrer unrühmlichen Endphase kurz vor der Machtübernahme der Nazis.
13 Jahre nach Entstehung dieses Werks griff der greise Richard Strauss zum Stift und skizzierte angesichts der geradezu apokalyptischen Zerstörungen durch den Zweiten Weltkriegs in Deutschland eine Untergangsmusik von tiefer Trauer. Man kennt diese „Metamorphosen“ in der endgültigen Fassung für 23 Solostreicher. Eine erste Version schrieb Strauss noch für Streichsextett und Kontrabass. Diese nicht vollständig erhaltene Fassung hat Rudolf Leopold 1994 zu einer aufführbaren Version des Werks gestaltet. Natürlich ist das kein ganz originaler Strauss, aber spannend zu hören ist das allemal, weil es die verschlungene Kontrapunktik des Werks und seine harmonische Vielgestaltigkeit noch plastischer hervortreten lässt. Das ist freilich keine Musik für ein Laienensemble, sondern nur für Quasi-Solisten, die das Ensemble WhizArt aufbietet. Ein spannender Abend mit Türen öffnenden Werken.